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Aus der Neuen Solidarität Nr. 20/2002 |
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Deutschland. Das Erfurter Schulmassaker hat eine vehemente Diskussion über die Rolle der Gewalt in den Medien ausgelöst. Killerspiele der Art, wie sie Robert Steinhäuser suchtmäßig spielte, wurden entwickelt, um Soldaten zum ungehemmten Töten zu drillen. Sie haben in Kinderzimmern nichts zu suchen!
Das Schulmassaker in Erfurt und die berechtigte Wut der Bevölkerung über die bisherige Untätigkeit der Politik haben eine allgemeine Debatte über die Ursache der "Neuen Gewalt" ausgelöst. Die Teilnahme von über 100!q>000 Menschen am Erfurter Gedenkgottesdienst für die Opfer am 3. Mai - eine der größten Versammlungen in Deutschland seit der Wiedervereinigung - machte deutlich, daß die Geduld der Bevölkerung zur Neige geht. Eine Umfrage des Bonner dimap-Instituts ergab, daß 81% der Bevölkerung ein Verbot von Gewaltvideos und brutalen Computerspielen befürworten.
Dermaßen - noch dazu in Zeiten eines Bundestagswahlkampfs - unter Zugzwang zeigen die Politiker einen hektischen Aktionismus. In Windeseile werden Gesetzesentwürfe für die Verschärfung des Waffenrechts und des Jugendschutzgesetzes erarbeitet, der Kanzler gründete einen "runden Tisch" mit Vertretern der führenden Medien, und vor allem profilieren sich Experten und Politiker aller Richtungen mit Presseerklärungen, Zeitungs- und Fernsehinterviews zu dem Thema.
Bundesinnenminister Schily beispielsweise fordert eine Eindämmung von Gewaltszenen in Medien und Computerspielen. Der am 7. Mai von der Bundesregierung beschlossene Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Jugendschutzes sieht vor, daß gewaltverherrlichende Computerspiele künftig wie Filme und Videos verboten werden können. Die SPD-Fraktion legte einen Entwurf vor, der verbindliche Altersgrenzen für Computer- und Videospiele vorsieht. Die Spiele sollen demnach künftig eine Alterskennzeichnung erhalten und im Verkauf und Verleih ähnlich behandelt werden wie Videokassetten, berichtete die Rheinische Post. Die Schutzbestimmungen sollen auch für das Internet gelten.
Allerdings mußte Schily selbst in einem Interview im ARD-Morgenmagazin einräumen, daß die "Anwendungspaxis" des Paragraphen 131 des Strafgesetzbuches, der schon jetzt ein Vorgehen gegen Gewaltdarstellungen ermöglicht, derzeit "völlig unzulänglich" sei. Was nützen verschärfte Gesetze, wenn sie nicht eingehalten werden?
Die Haltung der USA, die sich hierbei - ähnlich wie im Fall der von den USA aus verbreiteten neonazistischen Propaganda - auf das "Recht der freien Meinungsäußerung" beruft, wird in diesem Zusammenhang zu recht immer wieder als eines der großen Probleme bezeichnet. So erklärte die Thüringer Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, eine umfassende Kontrolle von Gewaltvideos und Computerspielen sei nicht möglich, weil ein großer Teil der Gewaltdarstellungen aus dem Ausland komme.
Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber forderte am 7. Mai im ZDF-Morgenmagazin ein generelles Verleihverbot für Gewaltvideos und ein Verbot von Killer-Spielen. Auf die Frage, was denn ein Verleihverbot in Deutschland nütze, wenn man über das Internet im Ausland an solche Spiele gelangen könne, und ob er eine generelle Reglementierung des Internets fordere, antwortete Stoiber, man müsse dies weltweit erreichen, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß man dies in Amerika anders sehe. Damit griff er eine Forderung auf, die die Spitzenkandidatin der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, Helga Zepp-LaRouche, unmittelbar nach den Erfurter Ereignissen erhoben hatte (siehe Neue Solidarität vom 8. Mai 2002). So begrüßenswert Stoibers Vorschläge auch seien mögen, bleibt doch fraglich, ob ein Bundeskanzler Stoiber ernstlich bereit wäre, sich in dieser Frage mit dem "großen Bruder" anzulegen.
Aber sogar im Lager der Union gibt es "Unverbesserliche": Vom 10.-12. Mai veranstaltet die Junge Union von Herrstein/Rhaunen eine "LAN"-Party, bei der rund 200 Computerspiel-Fanatiker über Computer vernetzt gegeneinander antreten. Unter den insgesamt sechs oder sieben angebotenen Turnieren seien "nur" zwei Ego-Shooter-Spiele, verteidigte der JU-Kreisvorsitzende im Kreis Birkenfeld Glöckner die Veranstaltung. Andernorts nehmen bis zu 2500 Spieler an LAN-Parties teil, auf denen sie sich - wie die Gladiatoren des alten Rom, aber vorläufig nur "virtuell" - gegenseitig massakrieren.
Innerhalb von acht Wochen will Nintendo eine Million dieser Spielekonsolen absetzen, auf denen neben scheinbar harmlosen Spielen natürlich auch Killer-Spiele aller Art gespielt werden können - und werden. Marktführer Sony hat seine Playstation weltweit bisher 28,6 Millionen Mal verkauft, Konkurrent Microsoft verkaufte seit März 70000 seiner X-Box in Europa. In den USA wurden bisher jeweils rund 1,8 Millionen Spielekonsolen der Typen GameCube und X-Box abgesetzt. Vom im Vorjahr eingeführten Vorgängermodell GameBoy-Advanced verkaufte Nintendo bisher 21,8 Millionen Exemplare.
An diesen Umsatzzahlen wird das Ausmaß der Verbreitung der Spielmanie sichtbar, vor allem, wenn man bedenkt, daß zu den Spielern, die Spielekonsolen benutzen, noch diejenigen hinzukommen, die, wie Robert Steinhäuser, ihre PCs benutzen, um ihre Spielsucht on- oder offline zu befriedigen. Angesichts des Kaufpreises von jeweils mehreren hundert Dollar (bzw. Euro) pro Stück dieser Spielekonsolen sieht man, welch ein gewaltiges Geschäft hier mit der geistigen Gesundheit der Jugendlichen getrieben wird.
Der amerikanische Schriftsteller Russell Banks schrieb zu diesem Thema schon nach dem Massaker in Littleton einen Aufsatz unter dem Titel "Computerhändler, ihr seid Schweine!", in dem er anprangerte, daß jährlich alleine in den USA eine Milliarde Dollar in Fernsehwerbung investiert wurde, die ausschließlich auf Jugendliche als Zielgruppe ausgerichtet sind. Das Verhalten vieler Jugendlicher - von den Massenmorden in den Schulen über die Gewaltspiele, Piercen oder Tätowieren bis hin zu Bulimie und Anorexie - sei die Reaktion dieser Generation darauf, daß man sie zum Objekt der "Selbstkolonisierung" gemacht habe. "Wir sind wie Säue, die ihre eigenen Ferkel fressen." In den drei Jahren seit dem Massaker in Littleton hat sich daran leider nichts geändert.
Dann fragte LaRouche: "Warum würde sich jemand an einer Operation beteiligen, die solche Resultate wie die Mörder von Columbine hervorbringt? Warum würden sie den ,alten Fagin' spielen, indem sie ahnungslose Jugendliche dazu verführen, verhaltensformende Killerspiele zu spielen? Was war die vorhersehbare Wirkung, als man diese Spiele auf den Markt für Kinder und Jugendliche warf? Welches Spiel spielten da einige Leute im US-Militär-Establishment, als sie auf diese Weise den ,alten Fagin' spielten? War Columbine vielleicht Teil einer Serie von ,Testläufen' eines neuen Produkts zur militärischen Massenproduktion jener Art von jugendlichen Mördern, die genauso bereit sind, sich gegenseitig umzubringen, wie ihre ausdrücklich zugewiesenen Ziele?" LaRouche fuhr fort: "Wenn man eine Armee solcher eiskalten Mörder rekrutieren will, die nach den Vorschriften von Samuel P. Huntingtons Lehrbuch Der Soldat und der Staat zu morden bereit sind, wo würde man dann geeignete Rekruten unter den Schulabgängern suchen? In Deutschland schätzen die Behörden, daß es gegenwärtig rund 170000 solcher potentiellen Rekruten gibt - wieviel mehr wird es dann heute in den USA geben? Wieviele amerikanische Regimenter einer internationalen Waffen-SS von Möchtegern-Terminatoren würde diese Zahl ergeben?... Nennen Sie es nicht ,Verschwörung'. Nennen Sie es eine ,Revolution des Militärwesens'. Oder bezeichnen Sie es einfach als ,Spiel nach den Regeln'."
Die Vorgeschichte des Erfurter Massakers führe bis auf den Bericht des damaligen OECD-Beauftragten Alexander King aus dem Jahre 1963 zurück, der den sogenannten "Brandtschen Bildungsreformen" zugrundelag - die übrigens auch in allen CDU-geführten Bundesländern durchgeführt wurden. Das Ergebnis der PISA-Studie dokumentiere die Folgen dieser Reformen.
Ob die deutsche Politik sich diesen Standpunkt zu eigen machen wird, hängt vor allem davon ab, ob der Bürger dies bei den Politikern einfordert - so, wie es 1989 die Bürger Ostdeutschlands taten. Und so macht es Hoffnung, daß am 5. Mai rund 4000-5000 Eltern, Lehrer und Schüler in Erfurt gegen die vorherrschende Bildungspolitik demonstrierten. Unter den Rednern befand sich auch die Direktorin des Erfurter Gutenberggymnasiums Christine Alt, die elf Tage zuvor dem Massaker nur durch einen glücklichen Zufall entkommen war. Sie hoffe, daß die vielen Versprechungen der Politiker nach dem Erfurter Massaker, der Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auch eingehalten würden.
Alexander Hartmann
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